Wirtschaft löst sich aus der Energieschockstarre

Die niedersächsische Wirtschaft atmet etwas auf: Versorgungs­engpässe bei Gas und Strom wurden dank intensiver Sparanstrengungen und mildem Winterverlauf vermieden. Die Erwartungen der Unternehmen haben sich damit auf niedrigem Niveau deutlich ver­bessert, bleiben per Saldo aber immer noch negativ. Die aktuelle Geschäftslage wird hingegen noch als zufriedenstellend beurteilt. „Die Gas- und Strompreisbremsen geben der Wirtschaft in vielen Branchen eine gewisse Planungssicherheit. Energieintensive Unternehmen haben allerdings weiter Schwierigkeiten, ihr Geschäftsmodell kosten­deckend aufrechtzuerhalten. Wir werden unsere Energieprobleme perspektivisch nur in den Griff bekommen, wenn wir es schaffen, das Angebot entsprechend auszuweiten“, so Maike Bielfeldt, Hauptgeschäftsführerin der IHK Niedersachsen. Die sichtbare Entspan­nung lässt den IHK-Konjunkturklima­indikator für das vierte Quartal 2022 um 23 auf 85 Punk­te (Vorquartal: 62 Pkt.) springen. Das ist das Ergebnis der Konjunktur­umfrage der niedersächsi­schen Industrie- und Handels­kam­mern mit 1.900 Unter­nehmens­antworten.
Die Preissteigerungen bei Energie und Vorprodukten dominieren unverändert das Geschäft in vielen Bran­chen. Für die Mehrheit der Unternehmen (78 %) sind die Energie- und Rohstoff­preise das Geschäftsrisiko Nummer eins gefolgt vom Fachkräftemangel (64 %), der mittlerweile in allen Branchen einen limitierenden Faktor darstellt. Die aktu­elle Geschäftslage wird im vier­ten Quartal von 27 Prozent (Vor­quartal: 23 %) der Unter­nehmen als gut beurteilt, 56 Prozent (Vq. 53 %) sind zufrieden und 17 Prozent (Vq. 24 %) beurteilen ihre Lage als schlecht. Die Erwartungen an die kommenden Monate haben sich in Anbetracht der leichten Entspannung an den Energiemärkten zwar etwas aufgehellt, bleiben insgesamt aber deutlich negativ: Neun Prozent der Unternehmen (Vq. 4 %) rechnen mit einer günstigeren Geschäftsentwicklung, 46 Prozent (Vq. 30 %) erwarten gleich­bleibende Geschäfte und 44 Prozent (Vq. 66 %) rechnen mit einer ungünstigen Entwicklung.
Die Geschäftsentwicklung der Industrie hat weiter an Schwung verloren. Die Auftragsein­gänge sind rückläufig, die Auftragslage ist noch ausreichend. Vor allem die energieintensiven Grund­stoffhersteller (Chemie, Glas, Papier, Zement) müssen ihre Produktion an die neue Wirklichkeit mit enorm gestiegenen Energiepreisen anpassen. Strom- und Gaspreisbremse helfen hier wenig, die Preisexplosion lässt manche Produktion im weltweiten Wettbewerb unrentabel werden. Investitionsgüterhersteller wie Automotive, Maschinenbau und Elektrotechnik sind auf­grund des geringeren Energieverbrauchs zwar weniger betroffen, leiden allerdings unter hohen Preisen für Vorprodukte und unter den weiter bestehenden Lieferkettenproblemen.
Die aktuelle Geschäftslage der Bauwirtschaft ist aufgrund des dicken Auftragspolsters noch gut. Die deutlich rückläufigen Auftragseingänge, vor allem im Wohnungsbau, werden sich erst allmählich auswirken. Jedes zweite Bauunternehmen erwartet für 2023 aufgrund der hohen Preissteigerungen eine ungünstige Entwicklung.
Das Weihnachtsgeschäft des Einzelhandels lief insgesamt besser als erwartet, trotzdem wird die Geschäftslage per Saldo negativ beurteilt. Die Sparsamkeit der Kunden hat sich in fast allen Handelsbereichen negativ ausgewirkt. Allein bei Bekleidung und Schuhen lief es besser, wobei die Geschäfte die pandemiebedingten Verluste der Vorjahre noch nicht kompensieren konnten. Die Konsumnei­gung der Verbraucher bleibt angesichts deutlich sinkender Realein­kommen äußerst zurückhaltend, die Umsatzerwartungen der Händlerinnen sind entsprechend skeptisch. Der Großhandel konnte sich vom Energiepreisschock der letzten Quartale ebenfalls erholen. Künftig wird jedoch mit rückläufigen Umsatzzahlen gerechnet.
Das Verkehrsgewerbe hat bisher vom zufriedenstellenden Geschäftsverlauf von Industrie und Handel profitiert. Die zuletzt gesunkenen Dieselpreise haben die Situation bei Spediteuren, Bus- und Taxiunternehmen wieder etwas entspannt. Für das Jahr 2023 rechnet die Branche mit einem rückläufigen Beförderungsvolumen bei steigenden Beförderungspreisen.
Das Gastgewerbe berichtet für das vierte Quartal von knapp zufriedenstellenden Geschäften. Explodierende Energiekosten, fehlendes Personal, höhere Lebensmittelpreise und sparsamere Gäste weisen auf die schwierige Perspektive der Branche trotz deutlich steigender Preise hin. Jeder fünfte Gastronom hat als Reaktion auf die hohen Energiepreise mittlerweile sein Angebot verringert.
Die Geschäftslage der Kreditinstitute bleibt zufriedenstellend. Vor allem macht sich der Zins­anstieg im Tagesgeschäft bemerkbar: Privatkunden werden vorsichtiger und fragen weniger Kredite nach, Geschäftskunden werden bei Investitionen zurückhaltender. Das Neugeschäft der Versicherungen stockt, die Erwartungen bleiben entsprechend verhalten.
Nach dem Energiepreisschock im Herbst 2022 hat sich auch die Geschäftslage der Dienst­leistungsunternehmen wieder zufriedenstellend entwickelt. Die Branche geht für die nächsten Monate von einem verhaltenen Geschäftsverlauf aus, plant aber weiter zu investieren und Personal einzustellen.
Ausblick
„Die Wirtschaft steht vor der großen Herausforderung, Energie zu sparen und mit enormen Preissteigerungen zurechtzukommen. Die Verbraucher sind gezwungen, aufgrund sinkender Realeinkommen zu sparen. Das macht den Handel zum Jahresbeginn sehr skeptisch und wird die Konjunktur dieses Jahr abbremsen. Die Entwicklung der Industrie hin zu energiearmer- und klimafreundlicher Produktion wird für einige Unternehmen zur Existenzfrage“, so die Einschät­zung der IHKN-Hauptgeschäftsführerin Maike Bielfeldt. „Eine Deindustrialisierung im Bereich der Grundstoffherstellung und damit eine Zerstörung der regionalen Wertschöpfungsketten muss vermieden werden“, so Bielfeldt.
Die IHK Niedersachsen ist die Landesarbeitsgemeinschaft der IHK Braunschweig, IHK Hannover, IHK Lüneburg-Wolfsburg, Oldenburgischen IHK, IHK Osnabrück - Emsland - Grafschaft Bentheim, IHK für Ostfriesland und Papenburg sowie IHK Stade für den Elbe-Weser-Raum. Sie vertritt rund 500.000 gewerbliche Unternehmen gegenüber Politik und Verwaltung.
*Hannover, 20.1.2023*