Unruhe vor dem Sturm

Die niedersächsische Wirtschaft ist sehr beunruhigt: Die möglichen Versorgungsengpässe bei Erdgas und Strom und die noch nicht konkret absehbaren Entlastungen der Unternehmen sorgen für große Unsicherheit und Existenzängste. Die aktuelle Geschäftslage wird allerdings überwiegend noch als zufriedenstellend beurteilt. “Vor vielen Unternehmen liegt ein harter Winter. Ganz entscheidend wird sein, dass eine Gasmangellage vermieden werden kann. Die Vorschläge der Gaskommission geben hier Zuversicht. Jetzt ist wichtig, dass die Umsetzung schnell erfolgt, damit die Unternehmen wissen, woran sie sind und planen können”, so Maike Bielfeldt, Hauptgeschäftsführerin der IHK Niedersachsen. Diese Unsicherheiten lassen den IHK-Konjunkturklimaindikator für das dritte Quartal 2022 um 18 auf 62 Punkte (Vorquartal: 80 Punkte) abstürzen. Das ist ein neuer Tiefpunkt des Indikators, der nur zu Beginn der Pandemie kurzfristig niedriger lag. Das ist das Ergebnis der Konjunkturumfrage der niedersächsischen Industrie- und Handelskammern mit gut 1.800 Unternehmensantworten.
Die Preissteigerungen bei Energie und Vorproduktion dominieren das Geschäft in allen Branchen. Für die große Mehrheit der Unternehmen (86 Prozent) sind die Energie- und Rohstoffpreise das Geschäftsrisiko Nummer eins. Die Unternehmen versuchen in allen Bereichen Energie zu sparen. Unrentable Produktion wird eingestellt. Die Auftragslage schwächt sich ab. Die Unternehmen werden in ihren Planungen bezüglich Investitionen und Beschäftigung vorsichtiger. Die aktuelle Geschäftslage wird im dritten Quartal von 23 Prozent (Vorquartal: 31 Prozent) der Unternehmen als gut beurteilt, unverändert 53 Prozent sind zufrieden und 24 Prozent (Vorquartal: 16 Prozent) beurteilen ihre Lage als schlecht. Die Erwartungen an die kommenden Monate haben sich vor dem Hintergrund möglicher Versorgungsengpässe bei Energie nochmals eingetrübt: Nur 4 Prozent der Unternehmen (Vorquartal: 8 Prozent) rechnen mit einer günstigeren Geschäftsentwicklung, 30 Prozent (Vorquartal: 41 Prozent) erwarten gleichbleibende Geschäfte und 66 Prozent (Vorquartal: 52 Prozent) rechnen mit einer ungünstigeren Entwicklung.
Die Geschäftsentwicklung der Industrie hat deutlich an Schwung verloren. Die Auftragseingänge sind zurückgegangen, die Auftragslage ist noch ausreichend. Der überwiegende Teil der Unternehmen gibt die gestiegenen Energiekosten an seine Kunden weiter, soweit dies im internationalen Wettbewerb überhaupt möglich ist. Knapp zwei Drittel der Industrieunternehmen investieren in Energieeffizienz, immerhin etwa jeder dritte Betrieb kann zumindest teilweise auf andere Energieträger ausweichen. Eine Reduzierung der Produktion ist für jeden fünften Betrieb eine Option. Bei einer Drosselung der Gaslieferungen um 25 Prozent müssten 41 Prozent der Industrieunternehmen ihre Produktion einstellen.
Die Geschäftslage der Bauwirtschaft ist aufgrund des großen Auftragsbestandes noch gut. Die Preissteigerungen bei Baumaterialien sowie die höheren Zinsen bremsen jetzt aber insbesondere den Wohnungsbau. Die Erwartungen der Bauunternehmen sind aufgrund der schwierigen Rahmenbedingungen eher ungünstig.
Knapp zwei Drittel der Einzelhandelsunternehmen sind mit der Geschäftslage im dritten Quartal zufrieden, gut ein Drittel beurteilt die Lage als schlecht. Die höheren Preise bei Energie und Lebensmitteln schmälern das verfügbare Einkommen für den Konsum. Die Konsumneigung der Kundschaft erreicht den tiefsten Wert seit 20 Jahren. Ausnahmslos alle Einzelhandelsbereiche rechnen mit rückläufigen Umsätzen. Die Geschäfte des Großhandels sind gleichermaßen betroffen. Schwankende Preise und Lieferfähigkeiten bleiben die größten Probleme. Immerhin scheint die Lieferkettenproblematik langsam nachzulassen.
Die Geschäftslage der Verkehrsunternehmen bleibt mengenmäßig zufriedenstellend, die Erträge stehen aufgrund der hohen Dieselpreise allerdings unverändert unter Druck. Die Gütertransporteure rechnen in den kommenden Monaten zudem mit einem Rückgang des Beförderungsvolumens bei steigenden Frachtraten.
Das Gastgewerbe berichtet für das dritte Quartal mehrheitlich von zufriedenstellenden Geschäften. Trotz steigender Preise kamen mehr Gäste, Beherbergung und Restaurantbereich hatten Umsatzzuwächse zu verzeichnen. Die Perspektiven sind aber düster: Explodierende Energiekosten, Preissprünge bei Lebensmitteln, die schwindende Kaufkraft der Gäste, der neue Mindestlohn sowie ein mögliches Wiederaufflammen der Pandemie sind mehr als herausfordernd.
Die Geschäftslage der Kreditinstitute bleibt zufriedenstellend. Erstmals seit der Finanzkrise 2008 wurden im dritten Quartal das Kreditgeschäft mit Privatpersonen und Investitionskredite für Unternehmen ungünstig beurteilt.
Die Dienstleistungsunternehmen berichten von einer zufriedenstellenden Geschäftslage. Rückläufige Aufträge und Umsätze zeigen jedoch, dass auch die vermeintlich stabilen Dienstleister in schweres Fahrwasser geraten sind.
Ausblick
“Entscheidend wird sein, dass die Gasmangellage vermieden werden kann. Die Wirtschaft spart, wo sie kann; das zeigen die Umfrageergebnisse. Jetzt ist wichtig, die Vorschläge der Gaskommission schnell umzusetzen. Unternehmen brauchen dringend Planungssicherheit”, so die Einschätzung der IHKN-Hauptgeschäftsführerin Maike Bielfeldt.
“Das gilt genauso für den Strompreis. Viele Unternehmen haben noch gar keine Folgeverträge erhalten und wissen aktuell nicht, was auf sie zukommt. Grundsätzlich benötigen wir eine größtmögliche Angebotsausweitung, um den Preisdruck zu reduzieren, und analog zum Vorschlag der Gaskommission auch verlässliche Strompreise, damit die Unternehmen planen können”, so Bielfeldt.