Kommunale Verpackungssteuern: zusätzliche Belastung für Unternehmen mit zweifelhaftem Nutzen

IHK Niedersachsen warnt vor neuer Bürokratiewelle und plädiert für praxisorientierte Lösungen zur Vermeidung von Verpackungsmüll
Das Bundesverfassungsgericht hat die Verpackungssteuer der Stadt Tübingen für verfassungsgemäß erklärt. In der Folge erwägen auch immer mehr Kommunen in Niedersachsen, ähnliche Modelle einzuführen. Die niedersächsischen Industrie- und Handelskammern warnen jedoch eindringlich vor den negativen Auswirkungen solcher Steuern auf die Wirtschaft.
„Hier droht die nächste Bürokratiewelle auf die Wirtschaft loszurollen“, erklärt Monika Scherf, Hauptgeschäftsführerin der IHK Niedersachsen (IHKN). „Die Einführung kommunaler Verpackungssteuern wird zu erheblichen bürokratischen und finanziellen Belastungen für Unternehmen führen, ohne den gewünschten ökologischen Effekt zu erzielen. Zudem droht ein Flickenteppich aus unterschiedlichen kommunalen Regelungen, der Wettbewerbsverzerrungen erzeugt. Wie belastend regional uneinheitliche Regelungen sind, hat die Wirtschaft bereits während Corona leidig erfahren müssen. Ein Zustand, der sich nicht wiederholen darf“, mahnt Scherf.
Eine aktuelle IHKN-Blitzumfrage zur Verpackungssteuer, an der sich 258 Unternehmen aus Niedersachsen beteiligt haben, belegt die Sorge der Wirtschaft: 94 Prozent der befragten Betriebe, die von einer Verpackungssteuer betroffen wären, rechnen mit einem höheren Dokumentationsaufwand, etwa beim Erfassen des Verpackungseinsatzes. 86 Prozent gehen davon aus, dass diese zusätzliche Besteuerung zu Umsatzrückgängen führen würde. Auf eine Verpackungssteuer würden 71 Prozent der betroffenen Betriebe mit Preiserhöhungen, 21 Prozent mit einer Einschränkung des Angebots an Speisen und Getränken und 18 Prozent sogar mit einer Aufgabe des Take-away-Geschäfts reagieren.
Die IHKN plädiert dafür, statt einer Verpackungssteuer praxisorientierte Lösungen zu fördern, die den Umstieg auf Mehrwegverpackungen unterstützen und sowohl Unternehmen als auch Verbraucherinnen und Verbraucher einbeziehen. Konkret schlägt sie vor, den Einsatz von Mehrwegsystemen durch Anreize und Förderungen zu unterstützen, Unternehmen durch Beratungs- und Schulungsangebote beim Umstieg auf umweltfreundliche Verpackungen zu helfen und die Wirksamkeit von Mehrweglösungen und Abfallvermeidung durch Pilotprojekte zu testen. Zur Generierung kommunaler Einkünfte ist die Verpackungssteuer mit dem damit verbundenen bürokratischen Mehraufwand für Verwaltung und Unternehmen nach Einschätzung der IHKN denkbar ungeeignet.
„Unternehmen tragen bereits jetzt vielfältig zur Entsorgung und Verwertung von Verpackungen bei: durch bestehende Verpackungsgesetze, Verordnungen zur Kreislaufwirtschaft und durch Zahlungen in den Einwegkunststofffonds. Eine zusätzliche kommunale Steuer würde eine Doppelbelastung darstellen“, kommentiert Björn Schaeper, Sprecher Umwelt der IHKN, die Umfrageergebnisse.
„Die Einführung kommunaler Verpackungssteuern oder -abgaben wird nach unserer Einschätzung lokale Betriebe gegenüber Unternehmen in anderen Regionen benachteiligen. Kunden weichen in Gemeinden ohne Steuer aus, was zu Umsatzeinbußen und sinkenden Gewerbesteuereinnahmen führt“, gibt Schaeper zu bedenken. Der IHKN-Sprecher stellt zudem die Steuerungswirkung von Verpackungssteuern in Frage: „Erste Untersuchungen zeigen, dass Verpackungssteuern nicht automatisch zu einer signifikanten Verringerung des Abfallaufkommens führen. Studien belegen auch, dass Mehrwegsysteme nicht immer ökologisch vorteilhafter sind als Einwegverpackungen.“
Besonders stark betroffen von einer Verpackungssteuer oder -abgabe sind nach IHKN-Angaben Gastronomie, Einzelhandel sowie die Event- und Freizeitbranche. Die Steuer belastet damit vor allem kleine Unternehmen, die sich vielfach von den Krisen der vergangenen Jahre noch nicht erholt haben und insgesamt unter zu viel Bürokratie, hohen Kosten und einer angespannten Personallage leiden. Eine zusätzliche Steuer wird deren Existenz weiter gefährden und die Attraktivität der Innenstädte und Ortskerne beeinträchtigen. Auch der Tagestourismus wird unter den Mehrkosten leiden, und die Verbraucherinnen und Verbraucher müssen auch hier mit höheren Preisen für verpackte Speisen und Getränke rechnen, prognostiziert die IHKN.
Mit Blick auf das Tübinger Modell verweist Schaeper zudem auf praktische Umsetzungsschwierigkeiten: „Dort müssen Bäckerei- oder Einzelhandelskunden vom Verkaufspersonal in vielen Fällen gefragt werden, ob der Verzehr sofort oder zuhause stattfindet. Je nach Antwort ist die steuerliche Erfassung unterschiedlich. Dazu müssen die Kassen entsprechend programmiert und die Mitarbeitenden geschult werden. Aber am Ende stellt sich die Frage: Wer soll eigentlich kontrollieren, wo der Kunde sein Müsli oder seinen Burger tatsächlich verzehrt?“

Hintergrund:
In Tübingen gilt seit dem 1. Januar 2022 eine Verpackungssteuer. Zahlen müssen sie die Verkaufsstellen von Einwegverpackungen, -geschirr und -besteck, die darin Speisen und Getränke für den sofortigen Verzehr oder zum Mitnehmen ausgeben. Der Steuerbetrag beträgt 0,50 Euro (netto) für Einwegverpackungen (z. B. Kaffeebecher) und Einweggeschirr (z. B. Pommes Frites-Schalen) sowie 0,20 Euro (netto) für Einwegbesteck und andere Hilfsmittel (z. B. Trinkhalme oder Eislöffel).
Die IHK Niedersachsen ist die Landesarbeitsgemeinschaft der IHK Braunschweig, IHK Elbe-Weser, IHK Hannover, IHK Lüneburg-Wolfsburg, Oldenburgischen IHK, IHK Osnabrück - Emsland - Grafschaft Bentheim sowie IHK für Ostfriesland und Papenburg. Sie vertritt rund 520.000 gewerbliche Unternehmen gegenüber Politik und Verwaltung.

Hannover, 14.05.2025