Aufholjagd mit Hindernissen
Die Geschäftslage der niedersächsischen Wirtschaft hat sich mit den Lockerungen der Corona-Maßnahmen im zweiten Quartal sprunghaft verbessert. Die Erwartungen der Unternehmen stiegen gleichermaßen, wäre da nicht immer noch der Schatten einer unberechenbaren Pandemie. Während einige Branchen nach wie vor von Corona-Beschränkungen betroffen sind, ist für viele Unternehmen aktuell die Materialknappheit bei Rohstoffen und Vorprodukten in Verbindung mit großen Preissteigerungen problematisch. „Wir sehen gerade eine Erholungsrallye der Wirtschaft, die aber an vielen Ecken und Enden auf Hindernisse stößt. Wir sind zuversichtlich, dass sich die Lieferschwierigkeiten in der zweiten Jahreshälfte in den meisten Branchen auflösen“, so Maike Bielfeldt, Hauptgeschäftsführerin der IHK Niedersachsen. Das Lösen der Corona-Bremsen lässt den IHK-Konjunkturklimaindikator für das zweite Quartal 2021 um 18 auf 114 Punkte (Vorquartal: 96 Pkt.) springen. Das ist das Ergebnis der Konjunkturumfrage der niedersächsischen Industrie- und Handelskammern mit gut 2.000 Unternehmensantworten.
Die Wirtschaftslage in Niedersachsen hat sich in fast allen Branchen deutlich verbessert. Die verbleibenden Beschränkungen für verschiedene Dienstleister rund um das Gastgewerbe und Veranstaltungen treffen diese Branchen aber unverändert hart. Insgesamt ergibt sich folgendes Bild: Die aktuelle Geschäftslage wird von 35 Prozent (Vorquartal: 27 %; Vorjahr: 19 %) der Unternehmen als gut beurteilt, 50 Prozent (Vq. 49; Vj. 42 %) sind zufrieden und 15 Prozent (Vq. 24 %; Vj. 38 %) beurteilen ihre Lage als schlecht. Die Erwartungen an die kommenden Monate haben sich verbessert: 25 Prozent der Unternehmen (Vq. 20 %; Vj. 15 %) rechnen mit einer günstigeren Geschäftsentwicklung, 58 Prozent (Vq. 51 %; Vj. 42 %) erwarten gleichbleibende Geschäfte und 17 Prozent (Vq. 29 %; Vj. 43 %) rechnen mit einer negativen Entwicklung. Die deutliche Verbesserung der Umfrageergebnisse ist in allen Branchen zu beobachten.
Die Wiederbelebung ganzer Wirtschaftszweige führt dazu, dass die gesamten Investitions- und Personalplanungen mit den gestiegenen Erwartungen im zweiten Quartal deutlich nach oben angepasst wurden und wieder über dem langjährigen Durchschnitt liegen.
Die Industrie befindet sich im Aufschwung. Alle Indikatoren zeigen am Ende des zweiten Quartals eine Expansion an. Aber das weltweit gleichzeitige Wiederhochfahren der Produktion führt vielerorts zu Materialknappheit und stark steigenden Rohstoff- und Vorproduktpreisen. Lieferengpässe sind in einigen Branchen die Regel, Vorprodukte wie Metalle, Kunststoffe, Computerchips oder Baumaterialien fehlen. Gleichzeitig steigen die Auftragseingänge, der Auftragsbestand wird von den Unternehmen wieder positiv beurteilt. Die Produktion liegt in wichtigen Bereichen jedoch noch deutlich unter Vorkrisenniveau. Die Materialknappheit bei guter Auftragslage trifft auch die mit Abstand wichtigste Branche Niedersachsens, Automotive.
Die Bauwirtschaft berichtet von guten bis sehr guten Geschäften, wären da nicht auch noch der Materialmangel (Holz, Dämmplatten etc.) und rasante Preissteigerungen. Die Auftragslage ist so gut wie lange nicht, aber die Preissteigerungen trüben die Geschäftserwartungen der Branche. Bei Wohnimmobilien nehmen die Auftragseingänge derzeit nicht mehr zu, im Tiefbau ist die Nachfrage hingegen weiter zunehmend.
Der Einzelhandel atmet auf. Der Klimaindex für den Einzelhandel macht einen „Freudensprung“ und steigt von 66 auf 105 Punkte, ähnlich wie im Sommer 2020. Die Besucherfrequenz in den Städten hat fast schon wieder Vorkrisenniveau, die Konsumneigung ist für den Handel zufriedenstellend. Die Einzelhändler in den Städten sind wieder optimistisch, die Umsatzerwartungen bei Bekleidung, Schuhen und Schmuck sind positiv. Auch bei den Möbelhäusern und den Baumärkten überwiegt der Optimismus. Maskenpflicht und Desinfektionsautomaten erinnern allerdings allgegenwärtig an die Pandemie. Der Großhandel spürt ebenfalls eine deutliche Belebung, allein der Bereich Maschinen und Ausrüstungen meldet eher schleppende Geschäfte.
Die Lage im Verkehrsgewerbe bleibt gespalten. Die Speditionsunternehmen sind am Limit und können kaum so schnell liefern, wie die Aufträge hereinkommen. Der Fachkräftebedarf, sprich Fahrerinnen und Fahrer, wird wieder zum Problem. Die kräftig steigenden Kraftstoffpreise belasten die Branche zusätzlich, da die Weitergabe der Kostensteigerungen an die Kunden im Wettbewerb oft nur zeitverzögert möglich ist. Die Perspektive bei der Personenbeförderung bleibt dagegen düster. Busunternehmen wie Taxen fehlen unverändert viele Fahrgäste.
Das Gastgewerbe spürt wie der Einzelhandel kräftigen Aufwind. Nach sieben Monaten Lockdown sind vor allem die Urlaubsdestinationen wieder optimistisch. Restaurants und Gaststätten fehlt allerdings noch deutlich Umsatz, vor allem bei Veranstaltungen, um wieder ohne staatliche Hilfen wirtschaften zu können. Ein akutes Problem ist der Personalbedarf, da viele Arbeitskräfte in andere Bereiche abgewandert sind. Fast alle Restaurationsbetriebe klagen über Fachkräftemangel.
Die Geschäftslage der Banken bleibt zufriedenstellend, die Erwartungen haben sich mit der Erholungsrallye der Wirtschaft spürbar verbessert. Das Kreditgeschäft mit Privatkunden und Investitionskredite für Geschäftskunden nehmen zu. Die Versicherungen haben ebenfalls einen kräftigen Schub bekommen bei gleichzeitig sinkenden Schadenszahlungen zum Beispiel bei Kfz-Versicherungen. Im Neugeschäft rechnen die Unternehmen weiter mit einem Zuwachs.
Bei den Dienstleistungsunternehmen der Bereiche Medien/IT, Immobilien, Beratung, Werbung, Architektur- und Ingenieurbüros sowie Zeitarbeit ist die Geschäftsentwicklung zufriedenstellend. Die Veranstaltungsunternehmen und die Freizeitwirtschaft haben dagegen weiterhin mit deutlichen Einschränkungen zu kämpfen, staatliche Hilfen scheinen für das Überleben der Branche auf absehbare Zeit notwendig zu bleiben.
Ausblick
Das Wachstum ist zurück. Allerdings gibt es Bremsklötze beim Material (im Produzierenden Gewerbe), Engpässe in der Logistik, Preissteigerungen und immer noch Kontaktbeschränkungen (Gastronomie, Veranstalter). Der Aufholprozess wird bei nachlassenden Engpässen und weiteren Erfolgen bei der Bekämpfung der Pandemie in den nächsten Monaten an Fahrt gewinnen. „Was wir jetzt brauchen, ist einerseits die Gewissheit, dass es nicht wieder automatisch aufgrund steigender Inzidenzwerte zu einem Lockdown kommt und andererseits einen Fahrplan für die Zukunft. Hier ist auch die Politik gefordert, um die sehr ambitionierten Klimaschutzziele der EU erreichen zu können. Der Green Deal kann nur erfolgreich sein, wenn die Rahmenbedingungen stimmen, damit die nötigen Investitionen aus der Wirtschaft kommen.“, so die Einschätzung der IHKN-Hauptgeschäftsführerin Maike Bielfeldt.
IHK-Konjunkturklimaindikator für Niedersachsen
Der IHK-Konjunkturklimaindikator gibt die Einschätzung der Unternehmen der gegenwärtigen und der erwarteten Geschäftslage wider.
Befragungszeitraum 21.06.2021-8.07.2021; 2015 Unternehmensantworten.
Befragungszeitraum 21.06.2021-8.07.2021; 2015 Unternehmensantworten.
Die IHK Niedersachsen ist die Landesarbeitsgemeinschaft der IHK Braunschweig, IHK Hannover, IHK Lüneburg-Wolfsburg, Oldenburgischen IHK, IHK Osnabrück - Emsland - Grafschaft Bentheim, IHK für Ostfriesland und Papenburg sowie IHK Stade für den Elbe-Weser-Raum. Sie vertritt rund 495.000 gewerbliche Unternehmen gegenüber Politik und Verwaltung.
*Hannover, 16.7.2021*