IHKN bewertet Koalitionsvertrag für Niedersachsen
Rund drei Wochen nach der Landtagswahl haben SPD und Bündnis 90/Die Grünen am Dienstag ihren Koalitionsvertrag für die Legislaturperiode von 2022 bis 2027 vorgestellt. Die IHK Niedersachsen begrüßt die Zielsetzung, das Land als Erneuerbare-Energie-Land Nummer eins zu etablieren und so einen Beitrag dazu zu leisten, energiepolitische Abhängigkeiten abzubauen. Dass sich im Koalitionsvertrag dagegen nur relativ allgemeine Aussagen zur Planungsbeschleunigung finden, ist ebenso enttäuschend wie wenig konkrete bzw. kontraproduktive Maßnahmen zur Fachkräfteentwicklung.
“Angesichts der aktuellen Herausforderungen ist es zunächst einmal ein Wert an sich, dass sich die Parteien relativ schnell auf einen Koalitionsvertrag geeinigt haben”, so Andreas Kirschenmann, Präsident der IHK Niedersachsen. “Die niedersächsische Wirtschaft ist weiterhin erheblich unter Druck. Sie muss nicht nur die strukturelle Transformation zur Klimaneutralität, sondern zusätzlich noch die Folgen des Krieges und der Energiekrise meistern.” Daher sei es gut, dass sich die neue Landesregierung so schnell gefunden habe und auf dem Weg mache, die großen Herausforderungen zu bewältigen.
Aktuell belaste der extreme Anstieg der Energiepreise die Liquidität wie auch die Wettbewerbsfähigkeit vieler Unternehmen erheblich. Insofern müsse die Politik die Angebotsseite weiter stärken und zugleich alles unterlassen, was Investitionen, Wachstum und Beschäftigung erschwert. “Weniger Bürokratie und Regulierung, mehr Freiraum für Innovation und Wettbewerb – das muss das Motto der Stunde sein”, so Kirschenmann. Der IHKN-Präsident zeigte sich enttäuscht, dass der vorliegende Koalitionsvertrag dieses Motto an viele Stellen nicht beherzige. Beispiele hierfür seien die von den Koalitionären angekündigte Wiedereinführung der Vermögenssteuer sowie die angestrebte Reform der Erbschaftssteuer.
Positiv wertet die IHK Niedersachsen, dass die Koalition viele für die Wirtschaft wichtige Handlungsfelder in den Mittelpunkt rücke, beispielsweise die Planungs- und Genehmigungsbeschleunigung. Konkret sei in diesem Bereich allerdings fraglich, ob das Ziel durch die bloße Formulierung eines “Klimavorrangs” erreicht werden könne. Das Planungs- und Genehmigungsrecht müsse vielmehr grundlegend reformiert werden, beispielsweise indem feste Zeitfenster für Klageverfahren definiert und das Verbandsklagerecht eingeschränkt werde. “Es ist befremdlich, dass der Koalitionsvertrag keine Aussage zur Zukunft der Clearingstelle enthält, die in der vorigen Legislaturperiode gegründet wurde und zahlreiche konkrete Hinweise für Bürokratievermeidung gegeben hat. Wir brauchen jetzt schnell ein klares Bekenntnis der neuen Landesregierung zum Fortbestand der Clearingstelle”, sagte Kirschenmann.
Zur Bewältigung des Fach- und Arbeitskräftemangels vermisst die IHKN im Koalitionsvertrag ebenfalls eine stringente Strategie. Das Thema werde zwar an verschiedenen Stellen angesprochen, allerdings fehle es an konkreten Maßnahmen, beispielsweise zur Gewinnung von ausländischen Fachkräften. Hier komme es nun auf die konkrete politische Arbeit in den kommenden Wochen und Monaten an, so Kirschenmann. Positiv bewerte die IHKN, dass die Attraktivität der Berufsausbildung erhöht werden solle, beispielsweise durch eine stärkere Eigenverantwortlichkeit der berufsbildenden Schulen oder der Förderung von Kooperationen zwischen Schule und Wirtschaft. Kritisch sehe man in diesem Bereich allerdings nach wie vor die im Koalitionsvertrag angesprochene Ausbildungsplatzgarantie, so Kirschenmann: “Für Tausende von Unternehmen, die ihre Ausbildungsplätze mangels Bewerber nicht besetzen können, klingt das wie ein Witz.”
Beim Ausbau der Straßeninfrastruktur dürfe es zu keinem Stillstand kommen, mahnt die IHKN. Hier dürfe sich die Landesregierung nicht hinter dem Bund verstecken. Die Planungsverantwortung bei den Bundesstraßen liege eindeutig beim Land. Hier könne man selbst für Verfahrensbeschleunigung sorgen. Bei den wichtigen Infrastrukturmaßnahmen A 20, A 39, A 33 Nord und E 233 erwarte die niedersächsische Wirtschaft, dass das Land gegenüber Berlin klar signalisiere, dass es diese Projekte für die Entwicklung der Logistikdrehscheibe Niedersachsen auch weiterhin wirklich wolle. Hannover müsse den Bund konstruktiv bei der Umsetzung der laufenden Planungsverfahren unterstützen und dürfe keinesfalls aus ideologischen Gründen blockieren.
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Hannover, 3. November 2022